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Anker 2

Sandra Leupold 

Was war hinter der verbotenen Tür, bevor die Erste gucken kam? 

 

Hören wir « Blaubart », haben wir sofort ein Bild vor Augen.

Keinen Mann mit blauem Bart, sondern eine Frau, die mit den Knöcheln im Blut steckt in eben der verbotenen Kammer, die sie nie hätte betreten dürfen. Gerade fällt ihr vor Schreck der Schlüssel ins Blut ihrer Vorgängerinnen mehr Bewegung gibt es nicht in diesem Bild der Lähmung. Nicht nur ihr Blut gefriert gerade.

Die ganze Szenerie vereist ein schon lange währendes Grauen zu einem einzigen Augenblick, geronnen wie das Blut in der gewaltigen Lache. Das Ausmaß der Pfütze belegt die Dauer eines Zustands.

 

ln Blaubarts Welt bewegt sich schon seit langem nichts mehr. 

Da der Librettist dieses Bild beim durchschnittlich gebildeten Opernbesucher sicher aufgehoben wusste, konnte er es in seiner Oper weglassen.

Hier muss Blaubart seinen Gattinnen nicht mehr die Köpfe abschlagen. Stattdessen domestiziert er sie zu hirnlosen Weibchen. Anstelle von Leben löscht er nur ihre Lebendigkeit aus. Amputiert mit chirurgischer Finesse Herzen, saugt langsam ihr Lebensblut aus und metzelt ganz ohne Blutvergießen in seinen Weibern die Weiblichkeit nieder. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In einem solchen Stück ist alles Chiffre. Immer nimmt man die Sphären des Offensichtlichen und des Verborgenen gleichzeitig war, alles verweist auf weitere Bedeutung hinter den Dingen und Vorgängen. Im Innern dieser symbolistischen Oper verknoten sich die ohnehin schon mehrdimensionalen Räume von Märchen und Mythos zu einem komplexen Gebilde, in dem man so etwas wie Handlung und herkömmliche Dramaturgie vergebens sucht. 

 

Blaubarts « zerhackstückte » Ehefrauen kommen auch nur fragmentarisch auf die Bühne. Sie bleiben lückenhaft ausgeformte Charaktere, kaum mehr als nur Aspekte von Persönlichkeiten, denen noch ein Namensschild am Ärmel hängt. Auf dem Schreibtisch unseres Autors sitzen sie etwas verloren herum, sie heißen Mélisande und Sélysette und so weiter und sind höchstens noch Reste von Gestalten aus seinen früheren Stücken. Aus der Froschperspektive beobachten sie das Tun der Heldin, die eben keine von Maeterlincks Geschöpfen ist, sondern von grundsätzlich anderem Stoff, einer ganz anderen Kategorie entsprungen und von jedem anderen hier ganz unerreichbar. 

 

Die bruchstückhaft erzählten Damen bilden auch keine Gruppe. Schon gar keinen Harem. Sie sind bloße Vielzahl, stellen die beliebig erweiterbare Trophäensammlung von Blaubarts Beutekadavern dar und erzählen uns so wie die Größe der Blutlache im Märchen mit ihrer Anzahl, wie lange das Grauen schon währt. Sie sind sukzessiv gemeint und simultan dargestellt. Hinter der verbotenen Tür im Keller, da wo Blaubarts Geheimnis ist, sitzen sie freiwillig in dem sie sich immer mehr zu der macht, die sie für ihn sein soll und das sie nach und nach stückchenweise ihre eigene Lebendigkeit kostet. Um sich zu wehren, bleibt ihr jetzt höchstens noch die Flucht in die Kränkelei. 

 

Auf der anderen Seite muss Blaubart einen ständig steigenden Preis zahlen, um seine Rolle auch vor sich selbst so überzeugend spielen zu können, dass für ihn aus dern Beherrschen der Frau auch der erhoffte Lustgewinn abfällt. Für etwaige Schwächen in ihm ist immer weniger Piatz, er muss sie bekämpfen, um sich ihnen nicht stellen zu müssen. So lebt Blaubart nur eine einzige Seite von sich, verliert zunehmend an Autonomie und endet als Gefangener seines eigenen Systems. Wenn ihm endlich die Sinnlosigkeit seines Treibens dämmert, kann er schon lange nicht mehr heraus eventuelle Fluchtversuche führen jetzt höchstens noch in eine zunehmende Brutalität.

 

Die Frau gewinnt in diesem Arrangement neben der Versorgung in Wohlstand und Luxus vor allem eins: ewige Jugend. Sich selbst zu finden, ist die größte Anstrengung unseres Lebens mühsam und spätestens dann beängstigend, wenn wir auf die Leichen in unserem Keller treffen. Diese Schrecken erspart

 

 

in dem sie sich immer mehr zu der macht, die sie für ihn sein soll und das sie nach und nach stückchenweise ihre eigene Lebendigkeit kostet. Um sich zu wehren, bleibt ihr jetzt höchstens noch die Flucht in die Kränkelei. 

 

Auf der anderen Seite muss Blaubart einen ständig steigenden Preis zahlen, um seine Rolle auch vor sich selbst so überzeugend spielen zu können, dass für ihn aus dern Beherrschen der Frau auch der erhoffte Lustgewinn abfällt. Für etwaige Schwächen in ihm ist immer weniger Piatz, er muss sie bekämpfen, um sich ihnen nicht stellen zu müssen. So lebt Blaubart nur eine einzige Seite von sich, verliert zunehmend an Autonomie und endet als Gefangener seines eigenen Systems. Wenn ihm endlich die Sinnlosigkeit seines Treibens dämmert, kann er schon lange nicht mehr heraus eventuelle Fluchtversuche führen jetzt höchstens noch in eine zunehmende Brutalität.

 

Die Frau gewinnt in diesem Arrangement neben der Versorgung in Wohlstand und Luxus vor allem eins: ewige Jugend. Sich selbst zu finden, ist die größte Anstrengung unseres Lebens mühsam und spätestens dann beängstigend, wenn wir auf die Leichen in unserem Keller treffen. Diese Schrecken erspart sich, wer den Prozess seiner Selbstwerdung vorzeitig beendet. Die bedrohliche innere Leere, die sich die Frau auf diese Weise einhandelt, lässt sich ja gut mit Banalitäten stopfen. Und ist es nicht verlockend ein Leben lang Kind zu bleiben, im infantilen Zustand der Unschuld und Unkenntnis im Paradies sitzen bleiben zu dürfen, nie ganz zu Ende zu schlüpfen wie ein unfertiger Schmetterling in seinem Kokon, verpuppt in ein perfektes Leben? 

 

Wir würden noch heute so im Paradies hocken, wenn Eva nicht den Apfel gepflückt hätte. Was wären wir ohne Grenzverletzungen? Auch wenn seit Evas Zeiten die Neugier gern als spezifisch weibliche Eigenschaft abqualifiziert wird, während man bei männlicher Gier nach Neuem lieber von Erkenntnisdrang spricht die Rebellion ist die Mutter alien Fortschritts. Erst durch den Ungehorsam erkannten Eva und Adam, wer sie waren. Sie verloren den paradiesischen, aber unangemessenen Zustand der naiv-kindlichen Unschuld und gewannen ein Leben in eigener Verantwortung. Leider hat Blaubart, wenn er als strafender Gottvater Rache für Evas Sündenfall fordert, kein Paradies mehr zur Verfügung, aus dem er sie hinauswerfen könnte -und ihre Tür zum Garten Eden ist eh schon länger zu._ 

 

Ob sie, wie im Märchen, zunächst rauschende Flitterwochen verlebt, bevor sie eines Tages die verbotene Tür öffnet, um dort einen brutalen Tod zu sterben, oder ob sie langsam und schieichend jeden Tag ein bisschen mehr in der geronnenen Blutlache feststeckt, spielt keine Rolle. Das Verhängnis begann an dem Tag, an dem sich die Falschen gefunden haben. Darüber war sich schon die Märchenbraut im Klaren. Sein blauer Bart hat ihr von Anfang an Furcht eingeflößt Zu dumm, dass sie so viele Mühen auf sich nahm, um ihre berechtigte Abneigung zu verdrängen so lange, bis sie den Bart schließlich nur noch zart himmelblau fand und in die Ehe einwilligte. 

 

Am Ende endloser weiterer Lügen sind die Kellerräume des gemeinsamen Beziehungsunbewussten irgendwann voller Leichen. Blaubart und seine Frau, die sich beim Ringen ums richtige Leben beide ihre Wunden geschlagen haben, sitzen regungslos einander gegenüber. Müde vom langen Stellungskampf der Geschlechter warten sie auf Erlösung jeder noch immer in der Überzeugung, der jeweils andere halte das Glück für ihn in den Händen. Beiden setzt der Leichenberg ungenutzter Chancen hinter der verbotenen Tür gleichermaßen im Nacken. Beide wissen, dass die Erlösung nur als dem eigenen Wissen über SlCh seibst kommen könnte und dass die Suche nach den unterdrückten, nicht gelebten und abgeschnittenen Anteilen in der eigenen Persönlichkeit eben hinter diese Tür führt. Blaubarts Angst davor, dort einem anderen  Blaubart begegnen zu müssen, als er bisher auszuhalten gewohnt war, lässt ihn die Tür mit so viel Kraft zuhalten. 

 

Wenn seine Kraft schwindet, tut sie es endlich und bricht sein Tabu. Und erfüllt ihm damit seinen geheimen Wunsch, den er nicht anders als in ein Verbot gekleidet formulieren konnte. Seinen Wunsch nach Hilfe. Wieder einmal hat sie also seiner Logik gehorcht. wenn sie jetzt da steht, wo er sie haben wollte. In der Blutpfütze. Was aber soll sie nun mit seinem Geheimnis anfangen? Sie weiß es nicht, denn sein Geheimnis ist in ihren Händen so wertlos wie ihres in seinen. Solange sue sich nicht hinter ihre eigene Tür wagt, und er sich nicht hinter seine. wird alles beim Alten bleiben. Und schon sind beide nach der kurzen Erschütterung langsam wieder auf dem Weg in ihren Keller, wo sie schon mal Platz nimmt. bis er gleich mit der nächsten Braut nachkommt. 

 

Es muss schon etwas Außergewöhnliches sein, was die Patienten aus diesem grausigen Wartezimmer des Lebens befreien könnte. Zu diesem Zweck bringt unset Autor die denkbar größte Heroengestalt in Stellung, ausgestattet mit maximalem Format. Leider gerät sie sich mit ihrer eigenen Übergröße immer wieder selbst ins Blickfeld, wenn sie versucht, mit denen in Kontakt zu kommen, die zu retten sie sich auf die Fahne geschrieben hat. Frau Doktor Mythos kann das Wartezimmer mit ihren Patienten gar nicht betreten, weil sie nicht hineinpasst. 

 

Unermüdlich versucht sie es trotzdem, setzt sie ihren Weg fort und geht zielstrebig auf den schwarzen Punkt in der Mitte des Labyrinths zu. In vorbedachtem Ungehorsam durchdringt sie sein Geheimnis. Erkennt das ganze Elend. Und kann doch kein passendes Rezept ausstellen. Eine wie sie glaubt immer alle anderen ihr selbst ähnlicher, als es denen je möglich wäre. Die Kellerinsassen kann sie gar nicht erreichen, weil sie sie nicht kennt. So bleibt Ariane mit ihrer Tat und ihren utopischen Zielen allein. Den Menschen ist es nicht möglich, ihr ganzes Leben auf Arianes Höhe des Erkennens zu verbringen. 

 

lm Labyrinth verliert man sich nicht. Man findet sich. Man begegnet nicht dem Minotaurus. Man begegnet sich selbst. Der Therapeutin bleibt nichts weiter übrig, als einzusehen. dass man ihrer Hilfe hier nicht bedarf. Wer hier sitzt, ist einfach nicht disponiert für die Freiheit. So lässt Ariane zurück, was sich nicht befreien lässt. Und so sehr sie auch unter dem Scheitern ihrer Mission leidet -es ist nicht ihr Versagen, von dem unser Autor erzählen walte, sondern die generelle Unmöglichkeit, sich durch andere befreien zu lassen.

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